20.11.2005, Jessica Kolotzei: wie man bei leeren Senatskassen Leistungssportlerin wird

Leere Haushaltskassen = gut für den Sport ?


Da machte sie nun eine Ausbildung bei der Berliner Polizei zur Polizeivollzugsbeamtin, gab ihr Bestes zum Bestehen der Prüfungen und dann dieses: „keine Übernahme in den Polizeidienst nach der Ausbildung“, so die Ansage im Januar 2004 für Jessica Kolotzei (Jg. 1985) von der LG NORD Berlin.

Mit 18 Jahren arbeitslos und was nun?

 

Aber da gab es ja noch etwas. Seit 2001 mühte sich Jessica das Diskuswerfen zu erlernen. Aufgrund ihrer guten körperlichen Vorrausetzungen für diese Disziplin hatte zu mindestens der Trainer die berechtigte Hoffnung, dass es mal was werden könnte mit guten Leistungen auf nationalem oder internationalem Niveau. Von 32m 2001, über 41m 2002, auf 47m 2003 ging die Entwicklung, was immerhin einen Platz unter den Top – Ten in der Jugendklasse in Deutschland bedeutete. Da diese Verbesserungen mit 2-3x Training unter dem Hobbytrainer bzw. sonstiger Anleitung erfolgte, war Optimismus angesagt, wenn, ja wenn es möglich wäre das Jessica semiprofessionell, sprich 5-6x trainieren könnte. Diese Chance tat sich ausgerechnet durch die klamme Haushaltslage des Berliner Senats auf. Arbeitslosigkeit bedeutet ja nicht Tatenlosigkeit. Ab sofort wurde täglich zum Training beim Landestrainer Wolfgang Kurth nach Berlin Hohenschönhausen gefahren, denn Zeit gab es ja nun genug. Auch wenn Jessica einen Monat später doch noch eine Teilzeitstelle als Polizeimeisterin antreten konnte, war mit diesem einmonatigen Einstieg in den Leistungssport und der individuellen weiteren Trainingsgestaltung durch einen hauptamtlichen Trainer der Anfang für eine Karriere als Diskuswerferin gemacht. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. 49,88m warf sie noch im gleichen Jahr, womit sie in die deutsche Spitze der Jugendklasse aufrückte. Im Jahr 2005 ging es dann unter Bundestrainer Werner Goldmann weiter kontinuierlich bergauf. Über 53,59m auf 55,77m verbesserte sie sich im Mai, um sich bei den Deutschen Juniorenmeisterschaften am 20.08. den 3.Platz mit der neuen Bestleistung von 56,16m zu sichern. Damit findet sie sich nun sogar unter den 10 Besten Frauen Deutschlands wieder. Dass sie nebenbei im Juli dieses Jahres in Rostock auch deutsche Polizeimeisterin wurde und mit 13,63 einen neuen LG NORD Rekord im Kugelstoßen aufstellte ergab sich fast zwangsläufig.
 

Mit 6-8 Jahren „Reife“ zur erfolgreichen Athletin rechnen erfahrende Trainer in dieser komplizierten Disziplin. Franka Dietzsch machte es dieser Tage mit ihrem Titelgewinn bei der WM in Helsinki vor, wie lange man auf hohem Niveau Leistungen vollbringen kann. Da hat Jessica noch einige Jahre Zeit, schließlich betreibt sie erst im zweiten Jahr das Diskuswerfen unter leistungssportlichem Aspekt.

 

Fazit: Ohne leere Senatskasse gäbe es keine Leistungssportlerin  Jessica Kolotzei, denn die „normalen“ Förderbedingungen des Deutschen Leichtathletik Verbandes hätten bei ihr nicht mehr gegriffen. Zu alt ist man mit 19 Jahren, um im Förderkonzept mit materieller Unterstützung rechnen zu können. Da wurde also dieser „glückliche“ Umstand, dass die deutsche Hauptstadt nicht genügend Mittel für seine Polizei zur Verfügung stellen konnte und kann, zur Initialzündung für eine vielsprechende sportliche Karriere. Aber mit dieser im deutschen Sport sicher nicht so seltenen Entwicklung eines jungen Menschen, die mehr dem Zufall geschuldet ist, muss die Demokratie Deutschland wohl leben müssen.  Allerdings zeigt dieses Beispiel auch exemplarisch was möglich ist, wenn, Talent vorausgesetzt,  ein Ziel mit persönlichen Engagement und unter Hinnahme materieller Einbußen konsequent angesteuert wird. Wünschen wir Jessica das sie gesund bleibt, die Berliner Polizei weiterhin sparen muss und Teilzeitstellen für ihre Angestellten bereit hält, denn dann ist es nicht auszuschließen, dass ihr Weg  in die Weltspitze weiterhin anhält.

 

gez. Klaus Haffner (Wurftrainer der LG NORD Berlin)

 

P.S. Information des Leistungssportwartes des Berliner Leichtathletik-Verbandes: auf Grund ihrer guten Perspektive wurde Jessica sowohl für einen Platz in der Sportfördergruppe der Berliner Polizei vorgeschlagen, als auch in das Team Berlin der Perspektiv-Athleten des Verbandes für die WM 2009 aufgenommen.

 

Gez. Jan-Gerrit Keil (Leistungssportwart BLV)