27.11.2005: Herbstwaldlauf aus der Sicht von Ipod-Läufer Klot

Der Tradition von Felix folgend (Felix befindet sich als Consultant bei einer Kick-Off-Veranstaltung seines Joint Ventures im expandierenden Osteuropa und fehlte mehr oder weniger entschuldigt) ein kurzer Bericht des heutigen Adventslaufs für alle, die nicht dabei sein konnten.
Diesmal aus der Sicht von Ipod-Läufer Klot.

Kurz vor 10 Uhr am 1. Advent im Tegeler Forst. Hypernervöse Rennpferde trappeln auf der Stelle und können das Warten auf das Startsignal nur schwer ertragen. Ich checke noch einmal meine "On-the-Go"-Liste, die ich bereits gestern in meinen MP3-Player einprogrammiert habe. Ein Profi überlässt nichts dem Zufall! Countdown von Lutz Raschke und endlich geht es los. Die ersten Meter lege ich zu "La Camisa Negra" (Dank an Demo meinen Songspender) zurück. Ich dachte, ich starte mit Lateinamerikanischen Klängen um meinem Geburtsort in Südamerika zu huldigen. Auch wenn ich nicht sehr viel geschlafen habe und der Wecker mich heute um 8 Uhr, also mitten in der Nacht, aus den Federn holte, spüre ich "Temperament" in mir... Frühstück und Anfahrt habe ich heute morgen im Halbschlaf absolviert.

 

Es "geschah" einfach alles. Ich habe auch keine Ahnung wie ich in den Wald gekommen bin, aber ganz offensichtlich bin ich nun hier und trotte in einer grossen Horde von Läufern durch den Schnee  - bizarr! Die grosse "Warum"-Frage habe ich mir bislang noch nicht gestellt. Kommt vielleicht noch... Nach 400m passiere ich meine Eltern, die Ihren Ausguck auf einem Hügel bezogen haben. Ich winke ihnen fröhlich zu und laufe betont locker und lässig. Meine Erzeuger sollen stolz auf ihr Produkt sein! Kurz danach werde ich selber von einem breit grinsenden Leif passiert. Er brezelt mit einem Monsterschritt an mir vorbei. Angeregt durch den zweiten Song auf meiner Liste spüre ich zwar gerade Lennons "Instant Karma" in mir, doch die Vernunft mahnt mich zur Zurückhaltung. Lauf nur Leifi - man sieht sich mindestens 2x im Leben...

 

Mit Jack Johnson (keine Ahnung welcher Song, klingt eh alles gleich -
Danke an den dicken Spendermops!) und dem "Passenger" von Iggy Pop erklimme ich die ersten Berge nach 2-3 km. Der schwerste Anstieg dann zu "Sounds like a Melody" von Alphaville. 80'er Jahre Revival - Zeiten, zu denen ich vermutlich auch noch fitter war. Die Adventslaufstrecke verfügt über üble Berge, was ich auch schon immer wußte. Dennoch kommt es mir so vor, als wenn sie auch immer höher werden. Der Mount Everest wird ja auch jedes Jahr ein paar Zentimeter höher und es erscheint mir plausibel, dass es im Tegeler Forst nicht anders ist. Es fühlt sich jedenfalls so an. Jedes Jahr schlimmer! Leif, mit seinem weissen Pulli und der schwarzen Mütze, sehe ich immer so gute 50m vor mir - so richtig weg kommt er auch nicht mehr... Eigentlich könnte ich ja mal ranlaufen. Gerade bergab fühle ich mich sehr schnell. Einfach mal die langen Gräten auseinanderziehen - funktioniert ganz gut! Zu "Tomorrow never dies" von Sheryl Crow fühle ich mich wie James Bond auf der Jagd nach Blofeld (mit der schwarzen Mütze vor mir). Doch Blofeld hat auch lange Beine... Nichts zu machen, ich komme nicht heran. "Will ich ja auch gar nicht!" bilde ich mir ein.

Ich laufe etwas ruhiger und geniesse die Kulisse. Durch den Schnee ist es hell, die kalte Luft ist glasklar und während ich auf dem erklommenen Kamm laufe, scheint die Sonne von rechts durch die Bäume und ich muss blinzeln. Links neben mir liegt in einer Mulde ein kleiner See. Herrlich!!! Tja Lasse, grosser Party-Tiger, das verpasst Du jetzt! Beim nächsten Berg nach guten 5-6km ein erster Einbruch. Ich bin schon lange nicht mehr James Bond und inzwischen in der Tango-Abteilung angekommen. Im Anschluss Klezmer-Musik. Rhythmisch unglaublich mitreissend, was da in meine Ohren schallt. Leider kann ich die musikalischen Vorgaben nicht annehmen. Ich bin der musikalische Kontrapunkt zu Klezmer - Stampfschritt ohne Länge und Frequenz. Ich fühle ich mich schon etwas schwächelnd und besinne mich mit Aristoteles auf das, was uns von den Tieren unterscheidet. Das nimal rationalem folgt seiner Vernunft und drückt auf die Bremse. Leif habe ich schon lange abgehakt. Ich denke mir "soll ja heute alles ganz locker und spielerisch sein und Spass machen" während ich mich auf wackeligen, schwachen Beinen und mit Pressatmung den letzten Hügel vor km 6 hochquäle. Auf den nächsten Kilometern kann mir Madness weder mit "Tomorrows" noch mit "House of Fun" weiterhelfen. Normalerweise verschafft mir diese Musik sofort gute Laune. Doch ich bin gerade alles andere als froh und optimistisch. Irgendwie ist es doch anstrengend geworden. Sollte es doch gar nicht! Ich laufe jetzt sehr sehr ruhig. Ca. 50m vor mir sehe ich Leif, der sich auch nur mühsam vorwärts schleppt. Wie eine Spinne im Sirup denke ich mir. Da sich der Abstand zwischen uns nicht verändert, ahne ich, was die Läufer hinter mir wohl gerade über mich denken. Leif und ich werde von zahlreichen Läufern und Läuferinnen überholt. Ich könnte ja mal keckerweise Grüße an Leif ausrichten lassen... Die Musik hilft mir aber die öde, langweilige und vor allem endlose Strecke von 7-9 km zu überstehen. Es ist auch einfach gut, nicht das Hecheln der alten ehrgeizigen Säc k(/hs) e um mich herum hören zu müssen. Die Klänge übertönen heute auch meine eigene asthmatische Atmung. Vielleicht aber auch gefährlich, wenn ich nicht mitbekomme, wie ich gerade selber so klinge...


Ich hatte mir auf meine On-the-run-Liste extra Songs der Gruppe Air eingespeichert. Ich dachte zu diesen Sphärenklängen schwebe ich auf einem Endorphinteppich mit sektiererischem Lächeln auf den Lippen ins Ziel. Statt dessen spüre ich mein Frühstück und bin noch weit vor dem Ziel! Der Song "You make it easy" hat jetzt sogar eine ironische Komponente. Es kommt noch härter. Ich wähne mich in Zielnähe und gehe fest davon aus, dass das Schild von km 10 vergessen wurde - wahrscheinlich im Container abgebrannt. Pustekuchen! Auch dem Nichts taucht es auf einmal auf und mir wird klar, dass ich jetzt noch einen ganzen langen Kilometer vor mir habe. Und zwar nicht irgendeinen, sondern den übelsten auf der ganzen Strecke!

 

Auch dies eine Erkenntnis, die man nach vielen Adventsläufen eigentlich wissen müsste.

Vor allem jetzt zum Schluss ist die Motivation nicht mehr so groß, auf einem schnurgeraden Rumpelpfad einen weiteren Berg zu erklimmen. Und da ist sie nun: die grosse "Warum?"-Frage. Ist es sinnvoll nach Erkältungen und 5 Wochen "trainingsfrei" sich an einem Sonntag vormittag, in Bezug auf das momentane Leistungsvermögen viel zu schnell, durch den Tegeler Forst zu hecheln? Stimmige Frage, leider bin ich zu schwach zum denken. Auf diesem Streckenabschnitt ging es mir noch nie gut und diesem Jahr ist es auch nicht anders. Hier hat im letzten Jahr Felix schlapp gemacht (und seinem Papa nicht mehr folgen können) und viele Läufer mussten just an diesem Punkt den Brechreiz runterwürgen (Jan? Olli?) - wir sind im Bermudadreieck des Tegeler Forstes angekommen. Die "Aufmunterungen" der am Rande stehenden Schaulustigen geben mir den Rest: "Jetzt schon mal bremsen, hö, hö, hö" - Was soll denn hier bitte noch gebremst werden??? Ich bin so langsam geworden, dass ich mich auch nicht mehr vor Kötern, hier im Hundeauslaufgebiet, fürchten muss. Was soll so ein Pitbull schon denken?: Bewegt sich da was? Bewegt sich da nichts??? Selbst Leif kann ich nicht mehr sehen. "El muelle de san blas" von Mana ist ein schöner Song aber ich bin nur froh bald im Ziel anzugelangen. Ich höre gar nicht mehr richtig auf die Musik. Es folgen noch die Pogues mit "Young Ned of the Hill" und plötzlich habe ich das Ziel vor Augen. Ich bin glücklich!!! Sofort beginnt die Uminterpretation und Verklärung: "Schöner Lauf! Herrlich!"

Natürlich war es wieder total cool! Nur ca. 2 Minuten nach mir erreichte Jan locker und flockig das Ziel - deutlich unter 1h!!!
RESCHPEKT!
Nächstes Jahr wird die Tradition fortgesetzt und ich erwarte mit folgendem Personenkreis im Ziel mit Tee anzustossen:
Felix, der Dicke, Tobi Licht, Myri, Lasse, Lars K. aus H., Vero und Bille. Alle Mitläufer der 51. Adventslaufausgabe sehe ich ja ohnehin wieder...

Herzliche Adventsgrüße von Claudio!!!